BORIS NIESLONY im Interview mit AGNIESZKA KARASCH spricht über „den politischen Zeiten um 1968“, seinen Weg zum Phänomen der Begegnung, über Black Market International, Energie und Dynamik einer Gruppe.

Boris Nieslony im Interview mit Agnieszka Karasch spricht über „den politischen Zeiten um 1968“, seinen Weg zum Phänomen der Begegnung, über Black Market International und Energie und Dynamik der Gruppe.                                                                

16 Oktober 2001, ASA Archiv, Köln


Agnieszka Karasch: Erzähle mir bitte über die Idee der Begegnung. Wie bist du dazu gekommen? Worin besteht ihre Aktion und wie kommt ihr zu diesem Zusammenklang?

 

Boris Nieslony: Man kann Phänomene des Einstimmens nicht beschreiben. Es geschieht oder geschieht nicht. Wir haben es in den letzten zehn Jahre lang sehr oft gehabt. Ich bin an diesem Phänomen der Begegnung und des Miteinanders schon lange interessiert.

 

1966, habe ich die ersten Erfahrungen in diesem Bereich gemacht, dass Menschen zusammenkommen und in dem Moment fallen ihre ideologische und andere Interessen weg, das „Zusammensein“ wird ermöglicht, das aber nicht in irgendeiner Art und Weise dominiert wird zum Beispiel durch Gruppenstrukturen oder so etwas ähnliches, sondern dass Menschen sich begegnen und auf einmal zusammen eingestimmt sind.

Extrem gab es solche Sachen in den politischen Zeiten um 1968. 1969-1971 habe ich viele solche Erfahrungen in meinen politischen Aktivitäten gemacht. Dieses fand ich damals großartig. Die emotionalen Gemeinsamkeiten traten an Interessen auf, die nicht nur ganz  direkt an einen politischen Ziel orientiert waren, obwohl das eine politische Bewegung war. Es gab so viele Begegnungen in verschiedenster Art und Weise in der man eine Gemeinsamkeit spürte, obwohl eine Gemeinsamkeit so nicht zu sehen war.

 

Meine erste Aktion, die ich in 1966 gemacht habe, hatte mit Kunst gar nichts zu tun gehabt. Ich habe auf der Straße gelebt auf öffentlichen Plätzen direkt, aber auch im politischen Sinne auf der Straße gelebt. Ich habe mich nicht versteckt , so wie es die Obdachlosen taten. Ich habe auf Plätzen gelebt und habe dies als öffentliches Leben bezeichnet. Wir waren etwa 10 Personen. Wir haben um uns einen Kreidekreis gezogen und haben nur den Personen erlaubt dahinein zu gehen, wenn sie nicht gegen uns waren. Anderen, die uns beschimpften haben wir es nicht erlaubt in diesen Kreis zu gehen. Dies ist unser Land und dort ist euer Land, da draußen. Diese Aktion dauerte etwa 9 Monate.

 

Agnieszka Karasch: Wie konnte man zu deinem Kreis reinkommen? Was zählte am meisten?

 

Boris Nieslony: Die Leute, mit denen Kommunikation ging, die es wollten, konnten da reinkommen und mit Ihnen haben wir gesprochen. So habe ich Tag und Nacht gelebt. Das Kriterium war die Art und Weise wie Menschen miteinander kommunizieren, die Art der Begegnung. Wenn man mir nicht aggressiv gegenüberstand… Zum Beispiel wurde sehr oft gesagt: unter Hitler hätte man euch verbrannt, vergaßt, etc.  Im Grunde lebte ich in einem Ausdruck einer deutschen postfaschistischen Gesellschaft. Das kam an deutlichsten durch diese Aussagen heraus.

 

Dieses Phänomen (des Einstimmens) ist nicht eine parteipolitische sondern politische Idee – als Mensch unter Menschen zu sein. Welche Freiheiten, Begegnung und Akzeptanz ist möglich. Da war ich 21 – 22 als ich das Gefühl dafür entwickelt habe.

Es war noch vor 1968. Da gab es in Deutschland diese Gammler und Vertreter der Beatnik Bewegung, die ziemlich politisch waren und Gedanken der Freiheit und des miteinander Umgehens vermittelten, eben in einer ziemlich radikalen Kritik an den festgefahrenen,  faschistischen Formen der deutschen Nachkriegszeit.

Dort habe ich es mit Menschen erfahren, die anders lebten, anders gedacht haben – und auch zusammen kamen. Ich habe zum Beispiel Weihnachten erlebt, 24 Dezember 1966. Ich lebte da auch mit den Freunden auf einem Platz und wir haben uns ein Weihnachtsbaum besorgt, haben in Schlafsäcken im Schnee gelegen, haben Wein getrunken, Musik gemacht. Und es kamen auf einmal Leute. Die Polizisten, die ihre Dienst machen mussten, kamen, brachten Wein!

Sonst haben sie immer gegen uns etwas unternommen, schikaniert wo es ging. Dann an einem so blöden Tag zählte das alles nicht mehr. Ich hab’ mir gedacht; was ist da los. Wieso bricht in dem Moment eine soziale Struktur zusammen wenn eine Sentimentalität eine Rolle spielte, nämlich bei Weihnachten. Darüber habe ich danach viel nachgedacht, wie kann man das ändern. Wie kann man solche Zustände des Gemeinsinns, des Einstimmens als politische und soziale Praxis nutzen.

Gut, nach einem Jahr, ist das alles wieder zusammengebrochen weil die Polizei dann so extrem wurde. Tag und Nacht wurden wir belästigt, konnten da nicht mehr schlafen,  wir sind ins Gefängnis gebracht worden. Die Gewalt vom Staat war dann so extrem, dass wir aufgeben mussten.

 

In diesem ersten Jahr habe ich meinen ersten Kontakt zur Kunst gehabt, habe eher ein bisschen Kunst gemacht. Dann musste ich zur Bundeswehr aber ich wollte nicht, habe dann stattdessen im Krankenhaus gearbeitet. Dort habe ich den ersten Menschen sterben gesehen. Das war der nächste Schritt. Den musste ich zeichnen. Und dort, komischerweise, habe ich mich entschlossen Kunst zu studieren.

Das war 1968-69, dann bin ich nach Berlin gegangen, habe mich  dort politisch betätigt. Aber 1971-1972 war es mir schon klar, dass diese politische Bewegung so nicht weitergeht. Wie ich habe es damals gesagt – die Leute, die jetzt da das größte Maul haben, wollen im Grunde dasselbe. Im Grunde wollen sie den Stuhl haben, wo sie ihre Vätern herunter gestoßen haben. Dann habe ich mich aus diesem politischen 68-Bewegung rausgezogen. Mich hat das nicht mehr interessiert. Mich hat das Phänomen der Begegnung interessiert (als politisch soziales Phänomen). Ohne Strukturen im Sinne von Hierarchie. Ich fing an zu organisieren, mit meinem Freund eine Galeriestrasse zu machen; dies als offenes System der Begegnung. Ich war damals natürlich sehr jung, so viele Fehler in diesen Versuchen… Es hat nicht geklappt. Ich musste ja Geld verdienen, auch noch studieren.

 

Begegnungen. Zum Beispiel in der Akademie in Berlin war es für mich ein Interesse. Jeden Freitagnachmittag kamen aus den verschiedenen Ateliers Kommilitonen und wir haben Musik gemacht. Solche Sachen zu organisieren hat mich immer interessiert. Und so habe ich es weitergemacht. Dann bin ich  von Berlin nach Hamburg, dann nach Paris und dann bin ich in 1977 nach Hamburg zurück gegangen, weil ich dort mit einigen Leuten zusammen ein großes Atelier mieten wollte. Wir haben mit 24 Leuten eine große Fabrik gemietet, Ateliers reingebaut und zusammen gelebt. Zwei Ausstellungsräume gab es da auch.  Dann kamen die ersten Probleme. Natürlich wollten die Leute sich selbst oder in einem Ringtausch mit anderen aus dem Haus ausstellen. Das interessierte mich überhaupt nicht. So kam es zu den ersten  Streitereien. Dann habe ich von 1978-1983 einen eigenen Ausstellungsraum in der Fabrik gehabt und habe angefangen, zuerst experimentelle Kunst, dann Installationen und Performances zu organisieren, nachdem ich 1978 die erste Performance (als Unterschied zur Aktionskunst) gesehen habe. So kamen unglaublich viele Dingen zusammen.

 

1979 hatte ich das erste Festival organisiert.  Es war für mich wichtig  Leute einzuladen, mit ihnen eine Woche zusammen zu sein, zu sehen, wie sie etwas entwickeln, wie sie die Vorbereitungen für die Performances gestalten, was sie so denken, woher die Ideen zu ihrer Kunst kommen.

 

In der Zeit, 1981 fand ich ein Buch: “Lernen und Lehren als Aufführungskunst” von Robert Filliou, darin ein kurzer Artikel von George Brecht und da kam ein Satz, wo ich mir gesagt hatte  – das ist es, das ist das Kunstwerk im letzten Jahrhundert! Die Inkunabel: Wenn du etwas wissen willst verbringe deine Zeit mit jemandem der etwas weiß.  Wenn Kunst eine Bedeutung hat – ein Prinzip, dann ist dieses Prinzip Kunst und nicht Produkte die man verkauft. Dieses Prinzip habe ich dann weiterentwickelt.

(Kurze Zeit später fand ich den wunderbaren Satz von Artaud: Prinzipien sind wie Delphine. Sie tauchen aus der Tiefe der Meere auf, zeigen sich kurz, um dann schnell wieder in der Tiefe zu verschwinden.

 

1981 habe ich zum ersten Mal im extremer Weise Leute zusammengebracht. Von diesen, von euch will ich etwas wissen, ich hatte grundsätzliche Fragen. Diese Begegnung, einen Monat lang, nannte ich „das Konzil“ und ich hatte es mit einem Freund in Stuttgart organisiert. Wir haben ungefähr 40 Leute eingeladen aber 70 kamen im Laufe eines Monats.

Die Grundstruktur war – abends um 6 kamen alle an einen Tisch, hatten sich alle die da waren zu treffen. Sie können eine Minute da sein oder 24 Stunden. Das war das Einzige, was als Zwang war. Das war dann eine wesentliche Geschichte, was da passierte zwischen Leuten. Das war eine unglaubliche Aktivität! 24 Stunden und das 30 Tage – präsent zu sein. Abends waren dann die meisten Gespräche, Fragenstellen, Statementsäußern, teils bis in den Morgen hinein. Daraus ergaben sich verschiedene, ganz extreme Arbeitsgruppen, die dann tagsüber  Arbeiten im öffentlichen Raum gemacht hatten, worüber sie dann abends am Tisch sprachen. Mir ist auch oft passiert, dass ich am nächsten Morgen früh um 6 oder 7 mich direkt dort am Tisch mit der Decke hingelegt habe.

 

Z.B. eine Gruppe nannte sich Werkzeuggruppe, es waren fast alles Performer und Performerinnen und dann die Panoramagruppe waren fast alle die, die visuell am Objekt gearbeitet haben, Maler, Bildhauer zum Beispiel. In diesem Monat haben wir einzelne Forschungsbereiche entdeckt. Zum Beispiel Bildforschung. Was ist eine allgemeine Bildforschung, wie ist sie zu verstehen. Dann waren andere Forschungsbereiche: die Definition des ‘Stils’. Wie diskutiert man, was diskutiert man. Dann gab es eine Gruppe die sich mit Krieg beschäftigt hat. Wie entsteht ein Krieg , was ist Krieg und was ist noch lange kein Krieg, warum ein Krieg Vernichtung beinhaltet. Diese Definition war eine unglaublich interessante Auseinandersetzung. Wie weit kann man in der Provokation gehen, mit anderen Personen, etc.

Wie ist das zu begreifen: ich mache das alles weil ich dich will, aber ich akzeptiere viele Dinge nicht, wie du es tust, aber ich will dich. Also muss ich irgendwas tun, was dich aus deiner Position herausnimmt und wenn es bis zum körperlichen Angriff reicht.  Und trotzdem muss man verstehen ist es noch kein Krieg, was ich jetzt mit dem mache. Krieg hat ganz andere Phänomene. Und noch extremer über den Krieg hinaus – die Vernichtung.  Viele Dinge, die dann als Krieg definiert sind im Grunde kein Krieg sondern Vernichtung, weil dies bereits intendiert ist. Auch zu sehen in den sozialen Bereichen..

 

Die andere Gruppe beschäftigte sich mit quasi-mythischen Orten. Im Grunde ist es wirklich ein künstlerisches Phänomen, aber es ist auch eine Frage – was heißt das, ein Ort der quasi – mythisch ist. Und dann wurden auch dazu Aktionen gemacht. Zum Beispiel in Stuttgart gibt es den Stadtteil Stammheim wo die RAF-Terroristen inhaftiert waren. Dahin haben wir eine Expedition gemacht. Ideen aus tiefstem Interesse und wie man sie umsetzt waren im Grunde die wirklichen Phänomene des Konzils. Nicht irgendwelche aus der Kunstgeschichte definierte Sachen und Relikte, nicht irgendwie aus der Kunst als Produkt im allgemeinen, sondern durch das menschliche Zusammenleben und  Zusammensein heraus entwickelte Themen und wie man sie umsetzt. Z. B. ein wunderbares Phänomen war, dass jemand Probleme des Sprechens hatte. Man merkte dass er im Grunde eine Kritik ausdrücken wollte aber er wollte nicht in ein Missverständnis reinfallen.

Im Gespräch klärte sich eine Aussage – „du hast doch Verstopfungen im Gehirn“. Die Person, die das äußerte,  organisierte eine Wanderung durch die Kanalisation von Stuttgart um zu zeigen wie die Schieße wegläuft und dass es möglich ist sie einfach verlaufen zu lassen. In der Länge der Zeit, des Monats, der dreißigtägigen Performance, kamen unglaublich viele Sachen zusammen.

 

 

A.K.: Zurück zu BMI. Soviel ich weiß, besprecht ihr nichts vor der Performance. Andererseits aber, habt ihr es nicht vor in einem totalen Chaos zu arbeiten oder euch auf ein Zufall zu verlassen.

B.N.: Ich sage jetzt was anders, es ist nämlich ein ganz verrücktes Phänomen; ich behaupte, dass kein anderer von BMI wirklich wusste was ich wollte. Alles was die anderen wollten war etwas anderes. Meine Idee, Erfahrung und Wunsch war, dass es nicht darum geht irgendeinen Mittelpunkt zu setzen, denn der ist nicht zu besetzen.

Es musste dieses ‘nicht ausgesprochen werden’ geben. Hätten wir dies vorher besprochen und immer wieder, hätte es dieses Problem der Mitte gegeben. Und wir hätten das nicht machen können. Durch meine Erfahrung über die Jahre und  mit so vielen Leuten zu arbeiten, habe ich gespürt, ob jemand die Fähigkeit hat und wie diese Person in seinen Arbeiten dies zusammen bringt. Selbst in den Solos und die Arbeit mit der offenen Mitte – das war meine Suche. Wie ich mit der Werkzeuggruppe im Konzil – immer wieder zum Teil mit wechselnden Leuten, irgendwo, immer was gemacht habe. Habe ich Erfahrung gemacht, wie Dinge zusammenkommen, ohne das wirklich jeder das intendiert hat. Das sind Phänomene, dass in einem Moment Leute zusammenkommen und als Menschen unter Menschen fast archaische Formen des Zusammenseins praktizieren. Dass heißt ein Blick und ein Einblick für alle anderen. Ich behaupte, dass alle Menschen das  haben, meistens verschüttet. Es geht darum Leute zu suchen, zu finden, wo ich das stark spüre – dann die Leute einfach zusammenbringen und das klappt.

Als wir zum ersten Mal zusammenkamen, der Zbigniew Warpechowski kam eine halbe Stunde vorher und fragte mich; wann er dran ist. Sagte ich; du fängst doch zur gleichen Zeit an wie wir alle an und wir machen das zusammen, eine Stunde. Und es hat geklappt! Und das ist einfach wo ich sage, das war mein Gespür zu diesen Personen.

 

Zurück zum Konzil. Das zweite Konzil, 1982, war ein Jahr später und ich habe immer wieder mit Leuten zusammen gearbeitet und versucht wie das ist. Manchmal hat es total geklappt aber am nächsten Tag ist das zusammengebrochen. Wenn Leute dominieren wollten, wenn sie zum Beispiel ihre Individualität zu sehr herausgestellt haben, das hatte nichts mit dem offenen System der Begegnung zu tun.

Es gab ein Mensch der immer andauernd dominanter wurde, der Thomas Ruller aus Tschechen. Das war wirklich spürbar unangenehm, der hatte seine persönlichen Interessen.

 

A.K.: Ich glaube das Problem der Dominanz ist:  wie dominant wird bei Personen der Rest des künstlerischen Lebens. Das heißt, wie dominant wird ihre Persönlichkeit in der eigenen künstlerischen Arbeit die sie dann in diese Begegnung bringen.

 

B.N.: Dominanz kann zum Beispiel ein Problem sein. Es gibt das ja auch in diesen theoretischen Ansätzen: Keiner soll BMI für seine eigene künstlerischen Karriere nutzen. Jeder muss es alleine machen, wie und was er tut, wie er seine Kariere gestaltet. Als Entwicklung der Persönlichkeit, da sollte, hoffe ich, BMI schon wirken!

BM ist als Prinzip, ein Prinzip der Begegnung ist ein künstlerisch-utopisches Phänomen, ist es aber nicht ein System sich in der Kunst zu etablieren. Wenn einer es benutzen will, ist das schlecht für die Begegnung.

 

Ab 1996 gab es  viele Probleme, wo ich fast dachte: das Prinzip ist vorbei, BMI ist eine Gruppe geworden, die mehr oder weniger gut ist, aber das Prinzip, was ich meinte – ist verloren. Seit 2007 ist es wieder eine gute Gruppe, das Prinzip hat sich geändert, es ist offen, völlig anders.

 

Was ich machen kann mache ich, worüber ich reden kann rede ich. Zwischen machen und reden sind Welten.

Wenn ich mich in einem Raum bewege, was hat es mit der Sprache zu tun? Innerhalb dem Reden ein ähnliches Prinzip zu haben wie in der Performance, im Machen. Ich beschreibe manche Sachen nicht weil es mit meinem Mangel zu tun hat, sondern weil ich in der Sprache manche Sachen auch offen lassen möchte. Ich bin nicht bereit alles zu benennen; aus Achtung, aus Aufmerksamkeit. Wenn ich  einen Menschen begegne, versuche ich innerhalb der Sprache, die Wörter – vorsichtich zu nutzen, vieles offen lassen.

 

A.K.: Zbigniew Warpechowski hat in einem Gespräch mit mir erwähnt, ihm störte, dass er die Aufmerksamkeit, die Stille und die Spannung des Publikums mit den anderen Mitglieder der BM teilen müsste.  Was ist dein Verhältnis dazu?

 

B.N.: Für mich existiert das Problem nicht. Das existiert für Leute die ihre individuelle Performance in einer gemeinsamen Performance machen. Das ist das Phänomen – wenn es gemeinsam geklappt hat, konnte man sagen – keine Person wurde definiert. Wenn das Gemeinsame nicht geklappt hat, konnte man  sagen – ah, der Warpechowski war aber gut heute! Für mich war Warpechowski sowieso in den letzten Jahren immer so – immer mehr im Vordergrund. Er begann mehr und mehr sein Solos zu zeigen. Er hat seine eigene individuelle Performance gemacht. Das hatte nichts mit dem Prinzip von BMI zu tun. Es hatte mit dem Prinzip zu tun dass einer immer dominanter wurde für sich selbst. Es ist so weit gegangen mit dem Warpechowski, dass er seine halbe Stunde Performance gemacht hat und dann angefangen mit dem Publikum zu sprechen – wenn die anderen aus BMI noch Performance gemacht haben.

Er wird von mir nicht mehr eingeladen. Ich habe einmal, einen rausgeworfen – wenn man so will – es war Thomas Ruller. Wie die Probleme mit BMI anfingen, ab 1995-96, als das  ganz ernst war, habe ich mir überlegt – entweder gehe ich raus oder ich finde neue Strukturen.

 

Wir haben jetzt seit 2 Jahren völlig neue Strukturen die ich spannend finde. Nämlich jeder kann Leute einladen zu einem BMI – Treffen. Auch  jene, die früher bei BMI waren – dies ist einfach richtig. Jeder der mit BMI gearbeitet hat, auch mal vielleicht als Gast, kann BMI einladen und kann natürlich einladen wen er will. Es soll eine Idee bleiben: BMI ist die Begegnung und nicht eine Gruppenperformance.

Ob das passiert oder nicht ist wieder offen. Das weiß ich nicht mehr. Diesen Text mit der neuen Struktur habe ich vor zwei Jahren geschrieben und an alle versendet.

 

 

A.K: Wie verläuft der Prozess des Kontakts zwischen Black Market International und Publikum. Wie soll sich die Aufmerksamkeit des Publikums richten?

 

B.N.: Performance und Publikum. Ich weigere mich jetzt von einem Publikum zu sprechen. Für mich gibt’s Personen. Es kann 50, 100 oder 200 sein. Ich mache eine Sache die dort da ist, aber ich bin nicht letztendlich auf diese Sache ausgerichtet. Es gibt ein Phänomen der Energie. Die klassische Definition ist wenn zwei energetische Ströme gegeneinander stoßen. Das finde ich ein ziemlich hierarchisches Prinzip.  Dasselbe ist wenn ich als der Superstar das Publikum in irgendeiner Art und Weise domestiziere. Mein Interesse sind die Energieströme umzuleiten in eine parallele Richtung so, dass in dem Moment Personen die zuschauen und  Personen die etwas machen in einem energetischen gleichen Raum und in einer gleicher Richtung sind – egal wohin die Richtung ist. Diese Parallele der Gleichzeitigkeit realisiert ein Raum und eine Zeit. Das ist eine Idee der Begegnung. Niemals das Interesse. Stehe ICH gut da, bin ICH gut…und das Publikum – gut. Das interessiert mich null.

Ich bin gegen diese extreme Form von Individualität als Künstler. Mich interessiert der Künstler an sich nicht, mich interessiert auch das Publikum nicht. Mich interessiert jetzt in dem Moment eine Kommunikation in einer Zeit, in einem Raum, wo Menschen  energetisch in eine gleiche Richtung gehen mit einem höchstem Interesse aneinander.

Das Auflösen von dem ganzen Künstlerbild, Kunst, etc. Weg, alles weg. Hauptfrage: wie ist eine gute Begegnung möglich wo Menschen in höchster Form des Interesses eine Zeit miteinander verbringen.

 

A.K: Jedoch, trotz ihrer Bereitschaft und Offenheit kommen die Leute da und erwarten was von euch. Sie sind eher passiv, sie sind nicht auf Teilnahme vorbereitet. Wie sollen Leute diese Teilnahme verstehen?

 

B.N.:  Das ist nicht wichtig ob ich aktiv oder passiv da bin, weil man ist grundsätzlich beide in dem Moment. Richtig hinschauen, nicht interpretierend schauen. Alles abzugeben was man gerne wollte. Wenn Leute zu mir sagen – oh, ich habe zwei Stunden zugeguckt, ich weiß gar nicht was es war – sage ich, gut, das war’s. Mehr nicht, sag kein Wort mehr. Wenn du zwei Stunden hoch konzentriert und voller Energie bist, das war es, mehr braucht man nicht. Mehr will ich nichts als Künstler auch, wenn man so will. Das ist eine völlig andere Form des Denkens.

Solange aber Menschen grundsätzlich irgendwo an dem Künstler und das Kunstwerk als besonderes, als hierarchisches Phänomen orientiert sind – und das ist in der Kultur zu 99,9%, ist der Blick woanders, nicht auf dieses Element der Begegnung.

 Wir sterben alle, wir haben nichts davon dass wir riesige Museen zu füllen haben. Ich finde das alles absolute Schwachsinn. Das einzige was wirklich zählt ist dass wir hier sind und ‘ wie’ da was passiert. (Obwohl ein Museum füllen auch ein passieren ist)

 

 

A.K.: Kannst du mir erzählen, wie du den Piotrowski zum ersten Mal getroffen hast? Aus welchen Gründen  habt ihr euch entschieden beim BMI zusammen zu arbeiten?

 

B.N.: Ich wurde nach Poznan eingeladen zu einem Festival. Bei meiner Suche um eine Zusammenarbeit zu beginnen, kannte ich und hatte ich schon Zbigniew Warpechowski, Jaques van Poppel und Norbert Klassen gewählt.  Ich habe mir die Zahl sieben gegeben um zu beginnen. Ich wusste es müsste mehr sein. Vier waren zu wenig. Ich bin da nach Poznan gegangen und sah die Arbeit die Zygmunt Piotrowski dort machte als Theater definiert aber auch als offene Struktur. Und mir gefiel was er dort, im Außenraum, gemacht hat – das Phänomen der Aufmerksamkeit, was mich  sehr interessierte.

Es gefiel mir auch, dass er Leute einlud die daran teilnehmen konnten. Es waren eben auch da Tomas Ruller, und Jürgen Fritz. Da war mir auf einmal klar – jetzt  haben wir sieben Leute.

Es ist aber falsch zu sagen ich hätte BMI gegründet. Ich war interessiert Leute einzuladen, mit ihnen zusammen zu sein und zusammen etwas zu  machen. Ddas hab’ ich ja schon vorher gemacht. Mit den 7 Personen entstand eine andere Dynamik.

Nach Poznan bin ich zu  Warpechowski nach Lodz gefahren und danach zu Piotrowski. Mit Piotrowski haben wir darüber gesprochen wie die Zusammenarbeit aussehen kann. Dabei entstand der Name Black Market, weil er fand zum Beispiel die Arbeiten wie ein Markt. Worauf ich konterte – wenn Markt dann aber Schwarzmarkt. Für ihn stand diese Form der Arbeit extrem gegen seine fast buddhistisch und am Zen orientierte Form der Auftritte.  Ich fand es aber spannend solche extreme Positionen in einer Begegnung zu haben. Dann bin ich nach Deutschland gefahren um das erste Treffen zu organisieren. Das hat dann 1986 stattgefunden.

 

Ich fand das mit ihm immer spannend, auch eben die Position. Aber er war immer hierarchisch, hatte Führerqualitäten, immer auch dominant, Leiter einer Gruppe. Extrem. Die extreme Position von ihm brachte auch viel Spaß  in die Performance.

 

Performance als Kritik. Zygmunt Piotrowski sitzt am Tisch und Jaques van Poppel hinter ihm mit  Ei.  Zum Beispiel eines der schönsten Bilder das ich im Kopf habe, eine Situation. Zygmunt Piotrowski sitzt in einer Ecke, hat eine tibetische Klangschale, die er reibt und es entstehen Klänge. Er sitzt da und meditiert. Jacques setzt sich hinter ihn mit gleicher Körperhaltung  wie Zygmunt, mit einer roten Plastikschale und plastik Penis und reibt die auch – langsam und vorsichtig. Unglaubliches Bild – die beiden zusammen.

Es hat ihn immer irgendwie geärgert. Er hat BMI verlassen, weil wir ihn einmal sehr geärgert haben.